Garance de Monteray

Garance de Monteray

Erste Episode,

Ein historisch inspiriertes Drama von dem schicksalhaften Weg dreier Wesen über das weltliche Geschehen hinaus.

468 Seiten

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ISBN: 978-3-7528-1277-0

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ISBN: 978-3-7494-0094-2

Hier und Jetzt

Sasha lag neben mir im Bett und schlief. Ich schaute verträumt die Decke an und konnte die Geschehnisse der letzten Tage immer noch nicht fassen. Wir kannten uns gerade mal ein paar Wochen und doch hätte ich nicht sagen können wie lange es her war, dass wir uns das erste Mal begegneten. Ich erinnerte mich, wie ich am Tresen des Ladens, in dem ich zu der Zeit öfter verkehrte, stand. Nur sie hatte ich dort noch nie zuvor gesehen. Der Typ, der sie begleitete, saß mit dem Rücken zu mir, so konnte ich, als sich unsere Blicke trafen, dass Funkeln in ihren Augen sehen, ohne dass ihr Ex, wie sich später herausstellte, etwas davon mitbekam.

Wir musterten uns nur kurz und spürten, da war etwas zwischen uns, eine Verbindung. Die ganze Zeit über lächelten wir uns immer wieder an und beobachteten uns gegenseitig. Sie verließ hinter ihm die Bar, um mir unauffällig ihre Nummer zuzustecken, mit dem Vermerk, wann ich sie erreichen könne. Am übernächsten Tag, nach der gewünschten Uhrzeit, klingelte ihr Telefon und wir trafen uns am Ort unserer Begegnung.

Blieben aber nicht dort, die Weite des Himmels mit der tief stehenden Sonne, gab uns den Raum und die Stimmung, uns näher zu kommen, während wir zum Hafen schlenderten. Der Anleger, von dem aus wir auf den Fluss blickten, sollte später noch eine wichtige Rolle spielen.

Sie fragte mich, was mir durch den Kopf ging, so fühlte ich mich von ihr aufgefordert und küsste sie, nahm sie in den Arm, spürte, wie sie sich sanft an mich lehnte, sah über ihre Schulter hinweg auf das Wasser und beobachtete einen toten Fisch, der vorbei trieb.

Der Weg zu mir war nicht weit. Bei Tee und Kerzenschein saßen wir die halbe Nacht eng umschlungen einfach nur da und erlebten den Augenblick. Es waren immer nur Stunden, die wir voneinander getrennt waren, wenn sie oder ich unseren Verpflichtungen nachgingen.

Unsere tiefe Zuneigung war ganz selbstverständlich. Wir konnten auch ohne viel Reden unsere Zeit miteinander verbringen. Eines Abends erzählte sie mir, sie wisse manchmal nicht, was sie über Stunden so treibe, und hatte auch keine Erinnerung daran, was geschehen war, wenn sie sich in einer ihr fremden Situation wiederfand. Ich versprach ihr auf sie acht zu geben, wenn dieser Moment bei unserem Zusammensein sich ereignen sollte. Er ließ nicht lange auf sich warten, schon in der darauffolgenden Nacht, wir waren gerade in einem Gespräch, hielt sie auf einmal inne, verdrehte die Augen, kam mit einer ganz anderen Präsenz wieder zu sich, gab mir mit tieferer Stimme zu verstehen, dass ihr die letzten vier Wochen ja euren Spaß hattet, und versicherte mir, dass sich das nun ändern würde. Sie sprach in der dritten Person von sich, lächelte mich hämisch an und war schon zur Wohnungstür hinaus. Ich zog mir schnell etwas über und folgte ihr, so dass ich sie nicht aus den Augen verlor, was von ihr auch so gewollt war. Wir kamen wieder an diesen Anleger, an dem alles begann, saßen auf einer Treppe, die zum Ausguck einer Terrasse führte, und ich fühlte ihre Größe, ihre Kraft, mit der sie mich einwickelte. Ihr Wissen über uns, welches sie ausstrahlte, würde mir in naher Zukunft noch so viel mehr offenbaren. Doch jetzt in diesem Moment spielte sie mit mir, mit meiner Angst, mit meiner Unsicherheit, sie wusste sehr genau, dass sie mich in der Hand hatte, dass ich ihr gerade Ergeben war, erzählte mir von Geschichten, die sie erlebt hatte, wovon ihre andere Seite jedoch nichts wusste, und hatte ihren Spaß, das war offensichtlich. Nur war mir das egal, wer immer sie auch gerade war, ich hielt mein Versprechen auf sie acht zu geben und wusste nicht, warum es mir so wichtig war, doch auch das sollte ich bald von ihr erfahren.

Wir schwiegen über dieses Erlebnis, es stand einfach nur im Raum und auf einmal war da etwas, was uns trennte, sie hatte sich zwischen uns gestellt, eine Grenze gezogen, uns aus unserem kleinen Paradies vertrieben. Dieselbe Frau, in deren Tiefe ihrer Augen ich mich verloren hatte.

Einige Zeit später, ich weiß gar nicht mehr, wie es dazu kam, wir waren wieder mal in einer heißen Diskussion, liebten es, uns geistig herauszufordern und von einer Sekunde auf die andere, ich blickte ihr gerade in die Augen, wandelte sie ihre Persönlichkeit, dass sie das tat, kannte ich ja schon von ihr, es war auch nicht das erste Mal, seit dieser Nacht am Anleger.

Doch in diesem Moment passierte es blitzschnell und ohne Vorwarnung. Sie kam ganz dicht heran, ich spürte ihren Atem in meinem Gesicht. „Wir kennen uns aus einem anderem Leben“, sagte sie leise und mir lief ein Schauer über den Rücken, ich fühlte mich wieder so klein, so hilflos, eine tiefe Schuld überkam mich, sie ließ mir eine Träne die Wange herunter rinnen.


Die Flucht

Ein Widerhall von Hufen aus dem Hof ließ mich aufhorchen, kurz darauf polterte jemand die Treppe herauf und hämmerte mit der Faust gegen die Tür, die sogleich aufsprang. Ein guter alter Vertrauter stand im Rahmen und rang nach Luft, „Ihr müsst sofort aufbrechen, sie suchen nach Euch, sie haben uns aufgespürt, die meisten von uns liegen aufgeschlitzt in ihrem eigenen Blut, sie haben sie einfach erstochen, ohne zu fragen, ohne Vorwarnung“. Er hielt inne, versuchte sich, zu fassen, atmete flach und hastig, „unsere ganzen Schriften, sie sind verbrannt, sie haben alles abgefackelt“, wieder versuchte er sich zu beruhigen, ich bot ihm einen Schluck Wein an, er nahm den Becher und leerte ihn in einem Zug, sah mich mit weit geöffneten Augen an, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, „ich konnte unbemerkt entkommen, von Ihnen Meister, wissen sie jedoch nichts, nichts von eurem Aufenthaltsort“, vergewisserte er mir immer noch sehr angespannt.

Er kam von der spanischen Seite der Pyrenäen, wo unser eigentliches Domizil lag, dies hier war nur ein kleines Gehöft etwas oberhalb von Lourdes, einer Kleinstadt am Fuße dieses Gebirges.

„Der Wahnsinn der Mächtigsten, hat uns also ereilt“, erwiderte ich trocken, „doch solltet Ihr, mein teurer Gefährte, hier ersteinmal verweilen bis sich die Lage wieder entschärft hat und euch zunächst wieder beruhigen“, legte ihm die Hand auf die Schulter und bat ihn sich zu setzen, „ich reite derweil nach Norden an die Küste, ich werde Euch benachrichtigen, sobald ich mich in Sicherheit wäge und mehr über den Vorfall in Erfahrung gebracht habe“.

So war ich jetzt wohl einer der letzten Würdenträger unserer Bruderschaft hier, würde gegebenenfalls auch aus den Pyrenäen fliehen müssen. Ich raffte ein paar Habseligkeiten zusammen, griff mir das Halfter mit den zwei Pistolen, schnallte mir meinen Degen um, warf mir meinen Umhang über, griff mir den Federhut, sattelte mein Pferd, verabschiedete mich noch von meinem treuen Vertrauten und ritt los.

Es war das einzig Richtige, dass er auf dem Gehöft in den Bergen blieb, es wusste niemand von diesem Ort und unten in Lourdes war er bekannt und fiel nicht weiter auf. Er sollte das beschützen, von dem er mehr als nur ahnte, dass es nicht in falsche Hände geraten durfte, zu viel Macht bargen die Abschriften, die ich über die Jahre angefertigt hatte, die hier in der geheimen Bibliothek vor sich hin schlummerten und der Zweck dieser Mauern waren die sie umschlossen. Dieses gesammelte Wissen hätte in den falschen Händen einen Weltenbrand auslösen können und verbarg daher sein Geheimnis vor den Augen dieser Welt. Mein Gefährte hatte nicht die Stärke, dieses Wissen zu beherrschen, doch seine Ergebenheit zu mir gab ihm die Kraft dafür es zu schützen, das zeigte sich unzählige Male in der Vergangenheit, in den Zeiten, die wir hier zusammen verbracht und erlebt hatten.

Ich wandte meinen Blick noch ein letztes Mal zurück, als ich an Lourdes vorbei ritt und erstarrte innerlich, das Gehöft brannte lichterloh, mein treuer Vertrauter hatte sich geirrt, auch ihm waren sie wohl dicht auf den Fersen gewesen, so blieb ihm zu meinem Glück nur noch genug Zeit, mich zu warnen, doch so hoffte ich, bezahlte er nicht mit seinem Leben dafür. Ich wusste, dass er das Feuer gelegt hatte, um die Bruderschaft zu schützen, und alle jene Beweise meiner Herkunft und Aufgabe hier zu vernichten, so hatte er es mir einst geschworen. Er rettete mein Leben und gab möglicherweise seines dafür. Ich werde ihn bis zu meinem Ableben in meine Gebete einschließen, wenn wir uns dann am Ende aller Zeiten wiedersehen, um den Augenblick unser aller Zusammenkunft erneut zu feiern.

Hätte ich einen anderen Weg in das Tal genommen, wäre ich den Lakaien des Königs vielleicht nicht entkommen, doch mein Schöpfer, sah wohl ein anderes Schicksal für mich vor und ließ „Pegasos“ diesen Pfad hinunter galoppieren, so verdankte ich auch diesem Gefährten mein Leben.


Mit einem Schlag war ich ein Niemand, ein ganzes Leben löste sich gerade in Flammen auf, mein Sein, meine Lebensaufgabe verglühte gerade zu Asche und nun musste ich noch mehr als zuvor, all das verbergen, was ich mir über die Jahre angeeignet hatte, mein ganzes Können, mein Wissen um die Kräfte des Universums, meine Fähigkeiten, die ich in dieses Leben mitbrachte, all das war in Gefahr und unterstand einer erneuten Prüfung. Ich hatte vor langer Zeit jemanden getroffen, zufällig, auf einem Ausritt, in einem fernen Land. Dieser blickte mir nur für einen Moment in die Augen und erkannte sofort mein Potential, sah den Weg, der nun vor uns liegen würde. Er war es, der all das zum Vorschein gebracht hatte, er war mein Groß-Meister, mein Magnus, gemeinsam riefen wir diese Bruderschaft ins Leben, ihm verdankte ich alles, was ich jetzt zurücklassen musste. Es traf mich tief, dass er jetzt nicht mehr unter uns weilte.

Möge er mich im Geiste beschützen, mich führen, sich mit meiner Seele verbinden und mich in meinen Träumen ereilen. Mir Botschaften von meinen anderen Brüdern übermitteln.


Der Weg, zur Küste zu gelangen, war ein langer und gefährlicher Ritt, doch da ich immer wieder solche möglichen Geschehnisse im Geiste durch gespielt hatte, auch um mich selber vor unüberlegten Handlungen zu schützen, war ich trotz meiner Anspannung sehr gefasst und ruhig. Die ersten Tage mied ich Gasthäuser und Höfe, deckte mich mit dem, was ich für mich und mein Pferd brauchte, auf kleinen Dorfmärkten ein, übernachtete nur unter freiem Himmel, immer außerhalb von bewohnten Gegenden, in Wäldern oder auf abgelegenen Lichtungen um keine eindeutige Spur zu hinterlassen. Als ich mich nach einiger Zeit in Sicherheit wägte und wusste, dass man mich nicht verfolgte oder wiedererkennen konnte, steuerte ich erstmal einen Gasthof an, der groß genug war, um nicht weiter aufzufallen, gönnte mir ein Bad, eine warme Mahlzeit, ein richtiges Bett und für Pegasos eine Scheune mit gutem Futter und einem Stallburschen, der ihn striegelte. Sodass ich dann auch unversehrt Bayonne, eine Hafenstadt an der Küste, erreichte.

Im Hafen von Bayonne verschiffte ich mein Pferd und bezahlte die Überfahrt nach Amsterdam, wo ich erstmal untertauchen wollte, um in Ruhe mein weiteres Vorgehen und die sich daraus ergebende Weiterreise zu planen.

Das Doppelleben, das ich führte, war nun Geschichte. Nach Paris konnte ich nicht zurück, mein Unterschlupf, mein kleines Geheimnis, gab es nicht mehr und unsere Bruderschaft wurde das Opfer des Verrates. Die „Gefallenen“, wie ich sie gerne betitelte, bangten um ihre Vorherrschaft, unser Orden wusste um die Fäden die sie sponnen und mit welchen Mitteln sie sich in den Köpfen der Menschen einnisteten, welche Weltbilder sie ersinnen mussten, um die Menschen genau zu diesen zu führen. Sie waren immer die „Dritten“, die die Mittel der Wahl zur Verfügung stellten. Ich hatte dieses Spiel lange genug am französischen Hofe beobachtet und miterlebt bei meiner Arbeit als Schriftgelehrter und Übersetzer. Ich war diesen Machenschaften so nah gekommen, durch die Liebschaft mit einer südländischen Adelstochter, deren Familie ganz Europa beherrschte, dass es mich fast den Hals gekostet hätte und ich nur durch die Gunst einiger Großherzöge mich der ungewollten Aufmerksamkeit entziehen konnte.


Die kleine Karavelle war ein schnelles Schiff, wir segelten die Küste hoch, durchquerten den Ärmelkanal und waren zwei Wochen später am Ziel meiner Reise. Des Öfteren stand ich stundenlang an Deck, sah in die Ferne und verlor mich in meiner Einsamkeit. Versunken in meinen Gedanken quälte mich meine Trauer, das graue nasskalte Wetter, die Gischt, die mir in mein Gesicht wehte, ließen mich immer tiefer in eine Melancholie sinken und der herbe Rotwein tat sein Übriges.

So gesellte ich mich des Öfteren zu Pegasos, er war der Einzige, der mir noch Halt gab, ein schweigender Verbündeter, der mich immer wieder anstupste, um mir zu zeigen, dass er sich freute, mich zu sehen.

Ich hatte erwägt, auch nach England zu gehen, es war protestantisch, doch auch dort wäre ich nicht sicher gewesen, meine Herkunft, meine Vergangenheit, mein Name waren dort nicht erwünscht und hätten mich früher oder später in Lebensgefahr gebracht. Und die Engländer entbehren zu meinem Übel der Kochkunst, ihr Essen ist leider Gottes grausam und mein bevorzugter Wein käme sowieso vom Festland. Des Weitern mochten sie keine Franzosen, ich war zwar keiner der Ihren, aber mein Akzent hätte mich vermutlich verraten, dazu lebte ich schon zu lange in den Pyrenäen. Hinzu kam, dass ich durch meine Tätigkeit in Paris, als Schriftgelehrter, dem höfischen Umgang überdrüssig wurde, diese überpuderten Eitelkeiten mit ihren Intrigen, um als Günstlinge des Königs zur Geltung zu kommen, langweilten mich schon lange, sie waren alle so borniert und durchschaubar, in meiner jetzigen Situation auch höchst gefährlich, da der Sohn des alten Königs, Ludwig, anfing die Adligen in Versailles um sich zu versammeln, da war Amsterdam die naheliegendste Alternative, zumal ich Hafenstädten, wenn ich schon die Wahl hatte, den Vorzug gab, sie haben ein anders Flair, sie waren gelassener, eher weltoffen, nicht so befremdlich dem Unbekannten gegenüber und in einem anderen Land zu sein wäre auch ein Vorteil für mich, nicht ganz unwichtig, wenn man der Verfolgung Dritter ausgesetzt war und sich nicht sicher sein konnte, nicht mehr unter Beobachtung zu stehen.


Es war mehr als willkommen, sich ein wenig gehen zu lassen, ich brauchte etwas Ablenkung mit allerlei irdischen Gelüsten und Genüssen und war hocherfreut eins der ersten Kaffeehäuser der Stadt zu besuchen, ich kannte den schwarzen heißen Saft noch aus früheren Zeiten im Nahen Osten, jedoch trank man ihn hier mit etwas Milch und Zucker, was mir neu war, ich liebte es. Es verging kein Tag an dem ich nicht mein Kaffeehaus besuchte und nach einer Weile mit einigen Aristokraten in wiederkehrende Gespräche kam. Das holländische Bankenwesen war zu starkem internationalem Einfluss gelangt. Und bot mir vielleicht die Möglichkeit, neue Wege zu gehen, alles im angemessenen Rahmen natürlich, ich wollte ja nicht in Ungnade fallen, doch was die meisten, hinter vorgehaltener Hand als Geheimnis preisgaben, war eher ein Zurschaustellen ihrer Naivität. Das Studium nicht nur der europäischen Sprachen kam mir wieder einmal zugute, nicht nur, da viele Bücher, die ich in der Vergangenheit studierte in den unterschiedlichsten Sprachen geschrieben waren. Gerade die interessanten Schriften waren zumeist in Sanskrit oder in arabischer Schrift verfasst. Sie erschlossen sich nur wenigen Europäern und ich meine nicht die Bücher, die auf dem römischen Index standen, dem Index Librorum Prohibitorum. Mit kleinen Randbemerkungen löste ich dann doch den einen oder anderen erhellenden Moment bei meinen Zuhörern aus, der mich mit einer gewissen Aura umgab, zu einem gern gesehenen Gast machte und mir die eine oder andere Tür öffnete, sodann auch zu neuen Passier- und Ausweispapieren, die ich brauchen würde, um weiter reisen zu können. Und so entsann ich mich meiner Herkunft und entschied mich des Spätern, erstmal dorthin, in meine ursprüngliche Heimat zurück zukehren.


Als ich die niederländische Grenze in das Reich deutscher Länder passierte, suchte ich erfreut ein größeres Wirtshaus auf und hielt Ausschau nach dem einen mittellosen Gast, der schon aus jedem Becher getrunken hatte, um ihm sein Lebenselixier in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, man erfährt dann so einiges über jeden Besucher dieser Lokalität und meinem Gast wäre jede Besonderheit aufgefallen, die sich in der letzten Zeit ereignet hätte, da er seine Ohren überall hatte.


Wieder seine Muttersprache zu sprechen, fühlte sich für mich nach so langer Zeit schon ein bisschen sonderbar und doch auch vertraut an. Jetzt war ich nicht mehr so viele Tage von meinem Elternhaus entfernt, wie die, die ich brauchte, um hierher zu gelangen. Ich wusste nicht, was mich erwartete, zwanzig Jahre nach meinem Fortgang. Doch mit einem Mal spürte ich eine große Sehnsucht, längst vergessene Erinnerungen kamen zurück, Bilder die ich lange nicht mehr vor Augen hatte, Bilder meiner Jugend, Bilder als junger Mann, Bilder meiner Familie.

Der Kölner Dom zeigte mir, dass nicht nur die Franzosen in Paris große Baumeister waren. Ich kannte ihn nur von Zeichnungen, hingegen durch Paris schlenderte ich schon entlang der Seine und hielt manch wunderschönes Weib im Arm, so wie es auch gerne der Dichter François Villon beschrieb, wenn er nicht gerade mit seinen Coquillarden wieder jemanden um seine Goldkronen brachte. Es war immer wieder ein willkommenes Abenteuer gewesen sich in gewöhnliche Kleider gehüllt unter das einfache Volk zu begeben und manch verheißungsvolle Gassenblume zu pflücken, ihren Nektar zu kosten und sich so der einen oder anderen eindringlichen Offerte mancher Burschen entgegenzustellen und zuweilen auch blutig zu beenden.


Einen Tagesritt später folgte ich nicht mehr dem Rhein, um dann am westlichen Rand des Westerwaldes auf die Lahn zu treffen und somit nach Limburg zu gelangen. Der Heimat meiner leiblichen Familie, welches auch damals den Grund dafür gab, von hier fortzugehen, um mein geistiges Erbe wieder zu finden, da ich mich als ein himmlisches Wesen, welches eine irdische Erfahrung machte, erkannt hatte.


Das große Stadthaus lag noch genauso prächtig und anmutig da, wie ich es vor so langer Zeit verlassen hatte. Unsere Familie war durch den Tuchhandel mit Stoffen aus aller Welt zu Wohlstand gelangt und das schon seit Generationen. Mit einem Mal freute ich mich, wieder heimzukehren, fühlte, wie ich mich verändert hatte, was aus mir geworden war. Es erfüllte mich mit Stolz und Würde, die Welt bereist zu haben und all diese unglaublichen Erlebnisse und Erinnerungen mit mir zu tragen. Eine große Dankbarkeit und Demut überkam mich mir dessen gewahr zu werden.

Ich öffnete mit einem kleinen Lächeln das große schmiedeeiserne Gatter und schritt den Weg zum massiven Eichentor entlang, Pegasos hinter mir her führend.

Der Türhammer erinnerte mich daran, wie oft ich früher hier stand und um Einlass bat, erkannte dann auch gleich nach mehrmaliger Betätigung jenem die Stimme meines Bruders, zusammen mit seinen näher kommenden Schritten. Er würde nicht glauben, was ihm widerfahren würde, wenn er die Luke im Tor öffnete, um zu sehen, wer draußen stünde.

Ich hatte noch nie in so entgeisterte Augen geblickt wie in diesem Moment. Er stockte und stand da wie versteinert, den Mund leicht offen, starrte er mich an. Es muss wohl nicht nur ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen sein. Grinsend begrüßte ich ihn und wies ihn darauf hin mich doch bitte hereinzulassen. Es dauerte noch eine ganze Weile bis er die Fassung wieder erlangte und in der Lage war, das Tor zu öffnen, und mir Einlass gewährte. Es stand ihm auf der Stirn geschrieben, dass er nicht entscheiden konnte, welcher Frage er den Vorrang gab.

Ich führte mein Pferd auf den Hof, der Knecht, dem ich die Zügel in die Hand drückte, hatte diesen ungläubigen Ausdruck in den Augen, fragte anstandshalber aber nicht, so gab ich ihm zu verstehen, ja du warst der Stalljunge, als ich fortging. Welches ihn dann auch gleich erfreute und wir uns anlächelten. Bevor er mit meinem Pferd in den Stallungen verschwand, strich ich Pegasos noch mal über die Nüstern und bedankte mich dafür, dass er mich wohlbehalten hierher brachte.


Mein Bruder Claudius

Wir machten es uns in der Bibliothek bequem und ließen uns in den beiden großen Ohrensesseln vor dem Kamin nieder, es war immer mein Lieblingsort hier im Haus gewesen. Ich genoss, es früher schon von so viel Wissen umgeben zu sein. Meinem Bruder hatte es eher das Kaufmännische angetan, da kam er ganz nach meinem Vater und er war sehr ordnungsliebend, daher war er es auch, der das Familienunternehmen führte. Wie ich erfuhr, hatte er wohl noch immer nicht sein Liebesglück mit einem Weib gefunden, welches seinen Ansprüchen genügte. Unsere Eltern verstarben schon, so Gott wollte, bevor ich fortging, genauer gesagt, war dieses tragische Ereignis der eigentliche Grund dafür gewesen, ein Drama, das ich nie wirklich überwunden hatte. Ein Fieber, das nicht nur meinen verehrten Vater und dann meine geliebte Mutter heimsuchte, es befiel auch einen großen Teil unserer Familie, die Großeltern, Geschwister unserer Eltern und sogar deren Kinder.


Der Verlust meiner Mutter verfolgte mich bis zum heutigen Tage. Sie war es, die Bücher so sehr liebte, wie ich. Ihre Leidenschaft galt der griechischen Antike, abendelang lauschte ich ihren Worten und ließ mich von ihrer Stimme durch die Dramen und Sagen des alten Griechenlands tragen.

Es gab nichts, was sie nicht wusste über den Olymp, die Machenschaften und Verwicklungen der Götter. Wie habe ich es geliebt, die gleichen Abgründe auch bei uns Menschen zu beobachten. So war es auch Athen, wo es mich als Erstes hinzog, als ich meine Heimatstadt verließ. So viele Male wünschte ich mir, meine Mutter wäre bei mir gewesen und hätte auch die Akropolis, das Orakel von Delphi, die unzähligen kleinen Bibliotheken, die ich durchstöberte, gesehen. Manchmal wenn ich dort in ein Buch vertieft war, las ich laut vor, in der Hoffnung sie würde mir auch so lauschen, wie ich ihr all die Jahre.

Nach dem Tod meiner Mutter fühlte ich mich hier wie ein Gefangener, die mitleidvollen Blicke die einen anschauten, das Getuschel und die alten Männer, die mir gewichtig ihre Hand auf die Schulter legten und ihre Weisheiten mitteilten, trieben mich fort von diesem Ort. Unser Haus war wie ein lebendiges Grabmal, überall schlich das Sterben durch die Zimmer. Es stand damals schon fest, dass mein Bruder die Geschäfte weiterführen würde. Er ließ mich nur schweren Herzens gehen mit der Befürchtung, dass mich die Welt verschlingen würde.

Auch ohne ein Weib an seiner Seite schien mein Bruder wohl glücklich zu sein. Wie mein Vater war er schon immer ein Eigenbrötler gewesen. Er freute sich zwar, mich nach so langer Zeit wieder zu sehen, aber man sah ihm an, dass er noch nicht so genau wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte und ob es ihm gefiel, dass ich so plötzlich und ohne Ankündigung hier auftauchte. Er mochte es gar nicht, wenn er sich nicht angemessen auf die Dinge vorbereiten konnte.

Aber was sollte er tun, ich war sein Bruder. Und da er der Ältere von uns war, ließ ich ihn auch gerne in dem Gefühl, irgendwie doch noch für mich verantwortlich zu sein. So konnte ich auch gut meine Meisterschaft des Universums verbergen, mit der ich schon durch ganz andere Welten wanderte.

Von der Magd und dem Knecht mal abgesehen, mochte er kein Gesinde, lebte hier, seit meinem Fortgang immer noch ganz alleine, wie ich annahm. Das waren doch die besten Voraussetzungen für mich, ein bisschen Glanz und Glorie in dieses alte Gemäuer zu bringen und ihn aus seiner Einsamkeit zu holen, auch wenn ihm das nicht wirklich gefiel. Doch guttun würde es ihm, das wusste ich, das war schon früher immer meine Aufgabe gewesen. Und mit der richtigen Dame würde ich ihn auch noch bekannt machen.

Jetzt hatte ich aber erst einmal Hunger, welches ich auch gleich kundtat, so dass meinen Bruder nach dem Dienstmädchen läutete, die dann auch gleich herbeieilte, um zu erfahren, dass ich der heimgekehrte vagabundierende jüngere Bruder sei, der jetzt erst einmal das Gästezimmer bewohnen würde und nach Speis und Trank verlangte, worauf hin sie sich in der Küche nützlich machte. Sie kannte ich zu meiner Verwunderung allerdings noch nicht, sie war in der Blüte ihres Lebens, wie eine Rose, die gepflückt werden wollte und darauf brannte, die Süße des Lebens zu kosten.


Als sie mit Brot, Wurst, Käse, ein wenig Obst und einer Flasche Wein, wieder vor mir stand, erkundigte ich mich, ob sie doch netterweise alles für ein Bad vorbereiten könne, ich setzte dabei mein charmantes Lächeln ein und sah sie mit einem dementsprechenden Blick an. Als sie verlegen zu Boden sah und versicherte, dass sie sofort heißes Wasser aufsetzen würde um dann danach nach frischer Bettwäsche zu schauen, entschuldigte ich mich für die Unannehmlichkeiten und bedankte mich bei ihr. Ich glaube, ich war wohl der Erste in diesem Haus, der ihr diese Art der Aufmerksamkeit zukommen ließ, um sie dann leicht errötet gehen zu lassen. Ich wandte mich wieder meinem Bruder zu, der das alles nur in groben Zügen mitbekommen zu haben schien.

Um meine Anwesenheit hier zu erklären, konnte ich ihm natürlich nicht darlegen, welches Schicksal mich hierher brachte. So erzählte ich, dass ich des Umherziehens überdrüssig wurde, dass ich es nicht mehr ertrug, mich nirgendwo zu Hause zu fühlen und überall immer nur der exotische Gast gewesen zu sein. Ich war jetzt in einem Alter, so sagte ich, in dem ich auch mal in einem Zuhause ankommen wollte, das Gefühl von Heimat bräuchte und zu dem, meine Mittel erschöpft waren, worauf hin ich mich meiner Herkunft besann. Ganz zu schweigen davon, dass ich diese Zeit geliebt hatte und nur mein geistiger Führer, mein spiritueller Meister, mich dazu brachte die Pyrenäen als Wohnsitz zu wählen, durch meine Aufgabe und Herausforderung, die ich damit verband. Mein suchender Geist hatte mich ihn im Land der Pharaonen finden lassen. Durch ihn erfuhr ich meine erste Einweihung in die Geheimnisse des Lebens und der Mystik, welches ich meinem Bruder, verständlicherweise nicht erzählen konnte.

Natürlich würde ich mir Arbeit suchen, erklärte ich ihm, um auf längere Sicht nicht seine finanzielle Hilfe zu benötigen. Doch er winkte gleich ab und sagte, dass ich mir um Geld nun wirklich keine Sorgen machen müsste, wir Brüder seien, so das Kost und Logis für mich natürlich frei wären und wir außerdem mehr als genug Platz hier hätten, er den Gedanken schön fände, nicht alleine zu wohnen, und es mir ja sowieso auch zustünde. Außerdem liefen die Geschäfte mehr als zufriedenstellend.

Er würde gerne mit mir in den nächsten Tagen, so entschied er wohl gerade, zu unserem Verwalter gehen, um geldliche Mittel freistellen zu lassen, über die ich dann verfügen könne, das wäre doch das mindeste, versicherte er mir. Also das hatte ich mir wesentlich schwieriger vorgestellt. Mein Bruder hegte also keinen Groll gegen mich und war, wie ich feststellte, eine Überraschung, die ich so nicht erwartet hatte. Ich glaube, er freute sich wirklich, dass ich jetzt wieder zugegen war und bleiben wollte. Ich hatte wohl die richtigen Worte für sein Herz gefunden.

So stießen wir mit dem letzten Glas aus der Flasche erneut an, welches ich in einem Zug leerte, um mich dann leicht beschwipst und mit gut gefülltem Bauch zu meinem Bad zu begeben.


Das Dienstmädchen war gerade dabei, heißes Wasser mit zwei großen Eimern einzugießen. Sie hatte ein Duftöl dazu gegeben, wie sie gestand, um mich zu erfreuen, und lächelte mich aus dem Augenwinkel leicht an. Ich lächelte ganz ungezwungen zurück. Ich sollte achtgeben sagte sie, sie hätte eine Wärmflasche zwischen die Badetücher gelegt, für ein angenehmes Gefühl beim Abtrocknen und ich solle läuten, wenn ich noch etwas wünschte. Was sollte man dazu sagen, sie war wohl angetan von mir als willkommene Neuerscheinung im Hause meines Bruders.

Das Bad war eine Wohltat, der ganze Wahnsinn, der letzten Wochen fiel so langsam von mir ab, ich lächelte vor mich hin, pfiff mir ein Lied und genoss das Bild, in meinem Elternhaus in der Wanne zu sitzen, mit dem Gefühl von Geborgenheit und einer gelungenen Heimkehr.

Als ich nur mit Hemd und Hose bekleidet in mein neues Reich kam, hatte jemand wohl schon ein Feuer im Kamin entfacht. Sogleich stand das Dienstmädchen im Türrahmen und meinte, mein Bruder ließe mir ausrichten, dass er schon zu Bett gegangen sei. Ich sagte, dass sie ja wohl kein Dienstmädchen im herkömmlichen Sinne wäre und für eine Gehilfin auch etwas zu kokett erschien. Worauf sie erwiderte, dass der werte Herr, mein Bruder, sie unter seine Fittiche nahm, als die Unwägbarkeiten in ihrem Leben unüberwindbar waren. Seit jener Zeit kümmere sich das Weib vom Knecht um sie. Und jetzt bekäme sie auch einen Lohn und wohne oben in der Dienstmädchenstube. Da im Gesinde-Haus wo der Knecht lebte, kein Platz wäre.

Der Herr war es, der sie alles lehrte, nicht nur die Umgangsformen, auch bei Tisch, ja sogar lesen und schreiben, sprudelte es aus ihr heraus. Ich müsste entschuldigen, sagte sie, sie wäre im Grunde gar nicht so redselig. Es amüsierte mich, wie sie da so stand mit ihrem Herzen in der Hand und selber nicht wusste, wie ihr gerade geschah. Eigentlich wollte ich sie nur fragen, wo sich der Schlüssel zum Weinkeller befände, sie sagte mir, dass er in dem kleinen Schränkchen, bei den andern Schlüsseln, der in der Küche an der Wand sei.

Ich nahm mir den Kerzenständer vom Beistelltisch neben dem Bett und bat sie, noch kurz zu bleiben, bis ich zurückkäme, ich hätte da noch einige Fragen, bezüglich meines Bruders. Sie willigte ein und ich wies sie an es sich doch auf dem Kanapee bequem zu machen.


Ich ging in die Küche, griff mir den Kellerschlüssel, den ich sofort wiedererkannte, eilte die Treppe hinunter, schloss die Tür des Weinkellers auf und betrat jenen.

Und ja, er war noch da, der Champagner aus früheren Zeiten. Oben in der Küche durchforstete ich noch die Speisekammer und entdeckte tatsächlich noch diverse Beeren in einem Schälchen, das ich gleich mit zwei passenden Gläsern aus dem Schrank an mich nahm und mich wieder in mein neues Gemach begab. Ich stellte den Leuchter zurück und ging zu ihr.

Sie saß wartend da, wie verlangt, die Füße direkt nebeneinander, mit dem Rücken nicht angelehnt, vorne auf der Kante des Kanapees, mit den Händen im Schoss liegend. Sehr anmutig wirkte sie im Widerschein des Kaminfeuers, so zart, so fein waren ihre Züge, einfach schön anzusehen.

Erwartungsvoll blickte sie mich an, was sie denn jetzt erwarten möge. Als sie die zwei Glaser entdeckte, rutschte sie etwas nervös auf dem Kanapee hin und her. Ich tat so, als ob ich es nicht bemerkte, und stellte ein Glas von den beiden ganz selbstverständlich vor sie auf den Tisch, platzierte das Schälchen mit den Beeren davor, stellte mein Glas auf die andere Seite des Tisches, wo der Sessel stand, öffnete den Champagner, ganz diskret mit einem leisen Zischen, goss ihr zuerst, dann mir ein Schlückchen ein, stellte die Flasche ab und pflanzte mich ihr gegenüber in den Sessel.


Ich fragte sie, ob es für sie in Ordnung wäre, über meinen Bruder zu sprechen, was sie bejahte. Da ich ihn zehn Jahre nicht gesehen hatte, war sie die bessere Alternative, um mehr über meinen Bruder Claudius zu erfahren. Sie sagte, dass er es immer sehr schade fand, dass ich weggegangen sei. Er sprach nicht oft von mir, doch bewunderte er meinen Mut, in ein fremdes Land gegangen zu sein, auch wenn er gar nicht wusste, wo ich lebte und er nur selten einen Brief von mir erhalten hatte. Ich konnte ihm nur dann schreiben, wenn ich für die Bruderschaft auf Reisen war, um unsere Loge in den Pyrenäen nicht zu gefährden.

Das würde ich ihr, verständlicherweise, nicht erzählen und ließ die Briefe einfach unkommentiert im Raum stehen.

Sie gestand, dass sie gerne viel mehr von ihm über mich erfahren hätte, da ich, als der mysteriöse Bruder, der exotische Länder bereiste, auf sie immer eine große Anziehung ausgeübt hatte. Und als sie erfuhr, wer der heutige Gast sei, war das schon sehr aufregend für sie. Das sagte sie zwar nicht so, doch sah ich es ihr sofort an, es war einfach zu offensichtlich.

Jetzt verstand ich auch, warum sie meine Aufmerksamkeit suchte und sich so viel Mühe gab, mir durch die kleinen Nettigkeiten von ihr, zu gefallen. Und sie ohne großen Widerstand einwilligte hierzubleiben, um über meinen Bruder zu sprechen.

Während ich schon mein zweites Glas leerte, nippte sie immer noch an dem ersten Schluck in ihrem Glas. Also forderte ich sie auf, doch ein paar Beeren zu kosten, sie würden den feinen Geschmack des Champagners unterstützen. Das wollte sie natürlich nicht unversucht lassen und so befolgte sie meinen Rat umgehend und nickte dann auch zustimmend. Der Champagner enthemmte sie zusehends und mit jedem weiteren Schluck aus ihrem Glas, öffnete sie sich mehr und mehr, ich spürte sofort, wie sie Vertrauen fasste und in mir wohl jemanden sah, dem sie sich zuwenden wollte, so dass sie fragte, ob sie mir ein Geheimnis anvertrauen könne. Ich nickte ihr wohlwollend zu und lächelte sie an. Sie wirkte, selbst überrascht mich das zu fragen, und stockte etwas dabei. Doch gab ich ihr zu verstehen, dass ich durchaus in der Lage war, ein Geheimnis für mich zu behalten und sie sich nicht zu scheuen bräuchte, mir zu erzählen, was ihr auf der Seele lag. Ich goss noch etwas Champagner in ihr Glas, worauf sie es nahm und in einem Zug leerte. Sie atmete tief durch, sah mir kurz in die Augen, um sich meiner zu vergewissern, und begann mir zu erzählen, welcher Weg sie in dieses Haus geführt hatte. In jungen Jahren musste sie mit ihrem Vater, durch die Intrigen seines Bruders, aus ihrem Heimatdorf fliehen, ihre Mutter sei wohl bei ihrer Geburt gestorben, wie ihr Vater ihr später erzählte, er war Weinbauer in der Champagne gewesen, sagte sie und sah auf ihr Glas, hob wieder ihren Blick und erzählte weiter, dass in einem Waldgebiet weit weg von zuhause sie von Räubern überfallen wurden, die ihn ermordeten, sie verschleppten und sie dann später an einen Wanderzirkus verkauften. Jahre später, sie war sehr unglücklich dort, weckte sie ungewollt Begehrlichkeiten bei einem Mann in dieser Zirkustruppe und als sie dann durch unsere Stadt zogen, ergriff sie die Gelegenheit, lief fort und versteckte sich unwissentlich im Stofflager meines Bruders.

Da saßen wir nun, zwei Vertriebene, beide durch eine grausame Begebenheit hierher geführt, sie unfreiwillig aus ihrer Heimat vertrieben, ich unfreiwillig in meine zurückgekehrt. Schweigend blickte sie in das Feuer des Kamins und betrachtete die züngelnden Flammen, wie sie vor sich hin loderten. Ich durchbrach diese Stille in dem ich ihr auf Französisch erzählte, dass ich die letzte Zeit in den Pyrenäen verbrachte und sie mein tiefstes Mitgefühl für ihr Schicksal habe, dass ich wisse, wie es sich anfühlt seine Eltern zu verlieren und nicht mehr zu wissen, wie es ist, sich zuhause zu fühlen, doch ich aus diesem Grund hierher zurückgekehrt war, um diesem Gefühl wieder gewahr zu werden. Sie sah mich verwundert an und wusste nicht, ob ihr gleich die Tränen kamen oder wie sie mir dankbar sein sollte, für meine tröstenden Worte.

„Cercis“, stellte ich mich ihr vor mit einer Hand auf meiner Brust, „und wie ist Euer werter Name“, fragte ich sie höflich, „Garance“, erwiderte sie leise. „Garance“, wiederholte ich, anmutig, „ein wunderschöner Name“, fügte ich lächelnd hinzu.


Garance de Monteray

Ungeachtet dessen, was sie erlebt hatte, war es ihre Unschuld, ihre Neugierde, die sie ausstrahlte, im Besondern ihre französische Herkunft, meine Vorliebe dafür, zogen mich unweigerlich zu ihr hin.

Ich überließ die Situation ganz sich selbst und betrachtete Garance einfach nur, ließ den Augenblick auf uns wirken, gab ihr ein Gefühl für ihre Schönheit, die Einzigartigkeit ihres Wesens. Doch sie wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte. Ich merkte, wie sie aus dem Moment ausbrechen wollte, um kundzutun, dass es für sie Zeit würde, erhob mich aus meinem Sessel, setzte mich neben sie auf das Kanapee strich ihr mit der Handfläche über die Wange, küsste sie auf diese und bat sie doch zu bleiben, nahm ihre Hand, erhob mich wieder, zog sie hoch zu mir und ging langsam auf das Bett zu. Wie hypnotisiert folgte sie mir am langen Arm, es war ein ganz großer Augenblick für sie und doch ließ ich ihr keine Wahl und sie ergab sich mir. Ich liebte sie schon jetzt dafür, setzte sie sanft auf die Bettkante, der Raum war wie mit kleinen Funken übersät, die durch die Luft tänzelten, öffnete behutsam die obersten drei Knöpfe ihres Kleides und küsste ihr Dekolleté, ohne sie zu entblößen. Sie wagte kaum zu atmen, ich schenkte ihr all mein Können, um ihr zu zeigen, dass es gerade nur um sie ging. Ich glitt mit meinem Kopf langsam hinab, kniete mich vor sie, schob vorsichtig ihr Kleid zurück und versank mit meinem Kopf tief in ihrem Schoss. Sie vergrub ihre Hände in meinen Haaren, sie drückte meinen Kopf immer wieder etwas weg, oder zog ihn noch stärker an sich heran, je nachdem wie wild ich sie mit meinem Mund und meiner Zunge liebkoste. Ich wusste genau, wo ihre Knospe war, und machte sie zu meinem Mittelpunkt. Sie begann ihre Beine weiter zu öffnen, so wurden unser beider Bewegungen immer rhythmischer, sie legte ihren Kopf in den Nacken und ihr erstes Stöhnen platzte aus ihr heraus, als ob sie ein jahrelanges Schweigen durchbrechen wollte, es war ihr Befreiungsschlag um all den Schmerz der Vergangenheit mit diesem Augenblick hinter sich zu lassen, sich von allem, was sie die ganzen Jahre mit sich trug zu lösen. Ich schenkte ihr in dieser Sekunde ein neues Leben. Es erhöhte mich, dass sie erblühte, dass sie mir, ohne es zu wissen, ungewollt ihr Herz schenkte. Ich schwebte mit ihr dahin. Wir waren nicht mehr auf dieser Welt, als ihr Orgasmus sie überwältigte. Nach einer gefühlten Ewigkeit durfte ich meinen Kopf aus ihrem Schoss befreien, sie sank einfach nach hinten, streckte die Arme aus und schaute vor Erfüllung ins Leere. Ich wandte mich um, lehnte mich mit dem Rücken gegen das Bett und streichelte ihr das Bein. Ich hatte sie zum Weib gemacht.

Nach einer Weile stand ich auf, beugte mich über sie, blickte ihr tief in die Augen und flüsterte, „danke für diesen wundervollen ersten Kuss“. Als sie näher kam, richtete ich mich auf, schlenderte zum Tisch, leerte den Rest des Champagners in unsere Gläser, entließ je eine Heidelbeere in jedes, kam zu ihr zurück, setzte mich neben sie, reichte ihr ihr Glas, lächelte sie an und prostete ihr zu.

„Was meinst du“, sagte ich zu ihr, „gehen wir zu Bett“. Sie sah mich ganz erschrocken an, entgegnete, dass sie lieber in ihrer Kammer nächtigte und sie sich nicht sicher sei, was mein Bruder davon halten würde.

Ich fragte, ob sie vielleicht Gefühle für ihn hegte, das verneinte sie sofort, sah mich erbost an, gab mir aber zu verstehen, dass sie ihm viel verdanke und ihn nicht gegen sich aufbringen wolle. Wir sollten es vielleicht dabei belassen, wenn ich überhaupt verstünde, in welche Situation ich sie gebracht hatte. Naiv war sie nicht, sie hatte natürlich Recht, ich versicherte ihr, dass es für mich kein Spiel sei und ich mich wirklich zu ihr hingezogen fühlte. Diesmal war sie es, die ihr Glas mit einem Schluck leerte, aufstand, zur Tür eilte, sie aufriss, sich noch mal umwandte, mich verstohlen ansah und sie hinter sich schloss. Wunderbar dachte ich mir, sie entdeckte gerade ihre Weiblichkeit. Dann hatte ich wohl alles richtig gemacht.

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